Er nennt ihn Big Bob. Ein möchtegern Polizist, der nichts mehr liebt, als sich selbst. Als Rachid eine wertvolle Kette stielt, entsteht eine rasante Verfolgungsjagd, welche ihn anschließend sogar in eine andere Dimension befördert.


„Haltet den Dieb!“ ertönte eine krächzende Stimme hinter mir. Erschrocken drehte ich mich um.

Die Kette, welche ich eben noch gestohlen hatte, glitt Stück für Stück aus meiner Hand, bis sie schließlich ganz herausfiel. Ich versuchte sie noch in der Luft zu fangen, aber vergebens. Als ich sie vom Boden aufheben wollte, blickte ich auf schwarze Stiefel. Langsam und unsicher glitt mein Blick immer weiter nach oben, bis ich schließlich in das von Narben übersehte Gesicht von Big Bob schaute. Er war mir schon vor ein paar Wochen begegnet, als ich einen Apfel stehlen wollte. Kein angenehmer Besuch kann ich euch sagen. Wollte mich bei der Polizei verpetzen. Zum Glück konnte ich mich dann aber doch noch aus seinen Fängen befreien und wegrennen. Doch diesmal war es kein einfaches Obst, sondern eine wertvolle Kette aus Silber und Diamanten. Big Bob, den Namen habe ich ihm gegeben, passt glaube ich ziemlich gut, würde mich wohl diesmal nicht so harmlos davonkommen lassen. In meinem Kopf malte ich mir Bilder aus, wie ich, von Big Bob gefoltert, in seinem Keller hockte. Nein, dazu würde es nicht kommen. Diese Kette muss bei meiner Mutter ankommen. Vielleicht, würde sie dann ja ein bisschen glücklicher werden. Wenigstens etwas. Entschlossen griff ich nach der Kette und sprintete blitzschnell los. „Tut mir leid Big Bob, aber ich habe es sehr eilig. Vielleicht können wir ja ein andermal plaudern,“ rief ich ihm hinterher.

„Hey, bleib stehen du Tagedieb! Gib der alten Frau die Kette wieder zurück!“ hörte ich ihn hinter mir kreischen. Ich denk gar nicht daran, dachte ich. Big Bob hielt sich für den größten Polizisten der Weltgeschichte, obwohl er noch nicht einmal einer ist. Außerdem macht er das alles nur für Ruhm und ein bisschen Trinkgeld, mit Sicherheit nicht um den Leuten zu helfen. Hektisch schaute ich nach hinten. Big Bob holte immer weiter auf. In seinem Gesicht, konnte man schon förmlich die Gier nach Ruhm und Geld sehen. Er mag ja vielleicht schneller als ich sein, doch mit Sicherheit nicht wendiger. Ich bog in eine Gasse ab und beobachtete, wie Big Bob dasselbe tat. Shit, dachte ich. Ich musste mir etwas besseres einfallen lassen, wenn ich nicht für den Rest meines Lebens gefoltert werden will. Instinktiv sprang ich vom Boden hoch, stieß mich von der Wand ab und landete mit meinem anderen Fuß auf der linken Wand. Dies wiederholte ich noch einige Male, bis ich schließlich mit beiden Füßen sicher auf einem flachen Dach landete. Verärgert schaute Big Bob zu mir rauf. Ich dachte, nun wäre ich vor ihm sicher, doch da irrte ich mich gewaltig, denn ich sah wie er langsam Anlauf nahm und dann mit Höchstgeschwindigkeit auf ein Haus zuraste. Einen ganzen Meter stieß er sich vom Boden ab und bekam dann das Dach des Hauses zu fassen. Lässig zog er sich hoch und stand mir nun gegenüber. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Jetzt trennte uns nur noch die eineinhalb Meter breite Gasse, zwischen seinem und meinem Haus voneinander.

Ich dachte an meine Mutter und die schönen Erlebnisse, die wir beide miteinander teilten. Ich musste ihr diese Kette bringen, koste es was es wolle. Ich nahm Anlauf und sprang dann, so schnell, wie ich nur konnte, von Dach zu Dach. Hinter mir nahm ich die lauten Schritte von Big Bob wahr, der immer näher kam. Es entstand eine Verfolgungsjagd, die in die Geschichtsbücher hätte eingehen können. Nun musste sie aber beendet werden und zwar von mir. Mein Blick huschte über die Umgebung. Irgendwo musste sich doch ein Ort finden, wo ich Big Bob abschütteln konnte. Schließlich blieb mein Blick bei einem großen Marktplatz stehen, wo sich haufenweise Menschen tummelten. Wenn ich ihn abschütteln konnte, dann ja wohl hier. Doch wie sollte ich seinen Blick von mir wenden lassen? Da fiel mir ein Trick ein, den mein älterer Bruder immer bei mir benutzt hat, bevor er …

Nein, an meiner Trauer sollte es nun nicht scheitern, ich war so kurz davor, ihm zu entkommen. „Was ist das?!“ rief ich plötzlich und zeigte gen Himmel. „Was?“ Verwirrt schaute sich Big Bob um. Den Augenblick nutzte ich, um die Dächer Rabats zu verlassen und in die Menschenmenge einzutauchen. Schnell setzte ich mir meine Kapuze auf und verlangsamte mein Schritttempo, um nicht aufzufallen. Hinter mir hörte ich Big Bob fluchen. Nun war ich für ihn, wie unsichtbar. Ich hatte es geschafft. Erleichtert ließ ich mich auf den Boden fallen und betrachtete die Kette, wie sie in all ihren Farben glänzte und glitzerte. Doch plötzlich spürte ich, wie eine eiskalte Hand meine Schulter berührte.

Erschrocken drehte ich mich um und blickte in die Augen eines wunderschönen, jungen Mädchens. Aber davon ließ ich mich nicht täuschen. Ich kannte sie nicht und alle die ich nicht kenne sind Feinde, so will es das Gesetz. „Wer bist du?“ fragte ich drohend. „Etwa eine Gehilfin von Big Bob?“ „Nein“ antwortete sie kalt. „Hier können wir nicht reden, komm mit.“ „Hey, wer bist du und was willst du von mir?“ setzte ich nach, doch das Mädchen schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen, denn sie zog mich einfach weiter mit sich. „Hallo, ich spreche mit dir!“ erinnerte ich sie. „Sei still!“ forderte sie mich auf, mit einer so dominanten und mächtigen Stimme, dass ich sofort verstummte und widerwillig ihrem Willen folgte. „Oder willst du etwa, dass sie uns finden?“ fügte sie hinzu. „Wen meinst du?“ fragte ich verwirrt. „Die Krieger des Nichts natürlich!“ antwortete sie so als würde ich das wissen. „Welche Krieger? Hey, weißt du eigentlich, dass du in Rätseln sprichst?“ Keine Antwort. Schließlich stoppte sie in einer engen Gasse. „Er wird alles erklären,“ sagte sie nervös. Wer, wollte ich gerade fragen, doch auf einmal spürte ich einen stechenden Schmerz in meiner Brust, der gleichzeitig so kalt war, wie alles zusammen, das ich je an Kälte gespürt habe. Dann wurde mir schwarz vor Augen.

Als ich aufwachte, fühlte ich mich, als wäre Big Bob zehn Mal auf meinem Schädel auf und ab gesprungen und hätte mich anschließend in eiskaltes Wasser geschmissen. „Wo bin ich?“ fragte ich benommen. Keine Antwort. Anfangs sah ich alles verschwommen, doch nach und nach verbesserte sich meine Sicht, bis ich mich schließlich auf einem Schlachtfeld wiederfand. Und nicht nur das. Ich war mitten in einer Schlacht. Schüsse flogen hin und her. Granaten wurden abgefeuert und Panzer fuhren von A nach B. Panisch suchte ich einen Ort, wo ich vor den Schüssen sicher war. Dabei wirbelten tausende Fragen durch meinen Kopf. Warum bin ich hier, und wo bin ich überhaupt? In meiner Eile entdeckte ich nur eine lange Furche, die circa ein dutzend Soldaten beherbergte. Schützengraben, so hatte ich es im Geschichtsunterricht gelernt. Gruben, wodrin sich die Soldaten vor jeglichen Angriffen schützten und dennoch selber schießen konnten. Ich nahm all meinen Mut zusammen und sprintete los.

Eigentlich hätte ich schon hundert Mal getroffen werden müssen, doch auf wundersame Weise, erreichte ich den Graben, ohne auch nur einen Kratzer abzukriegen. Als ich wusste, dass ich sicher war, atmete ich erleichtert durch. Dieser Tag enthielt eindeutig zu viel Aufregung für mich. Plötzlich hielt ich inne. Was würden die Soldaten wohl nun von mir denken. Würden sie mich für einen Spion halten und naja, töten? Doch nichts der gleichen geschah. Sie schienen mich noch nicht einmal zu bemerken. Langsam kam in mir der Mut wieder hoch und ich stupste vorsichtig einen Soldaten an, der gerade seine Waffe nachlud. Ein fürchterlicher Schauer lief mir über den Rücken, als mein Finger einfach durch ihn hindurch glitt.

Was ist das nur für ein Ort, fragte ich mich. „Diese Frage kann ich dir beantworten,“ ertönte plötzlich eine tiefe Stimme hinter mir, so als könne er meine Gedanken lesen. Für den ersten Moment dachte ich, es wäre ein Soldat. Diese Antwort verstärkte sich auch noch, als ich mich umdrehte. Ich blickte in die Augen eines muskulösen Mannes, dem eine tiefe Narbe durchs Gesicht fuhr. Seine Augen waren rot angeschwollen, sein Schnurbart zuckte bei jeder Sekunde die ich ihm länger in die Augen schaute, so als sei er nervös. Dennoch erkannte man, dass er bereits viele Schlachten hinter sich hatte, die bestimmt nicht alle gut ausgingen, denn neben der Narbe besaß er auch noch eine Beinprotese aus Holz. „Tut mir leid, dass ich so nervös wirke. Ich bin es einfach nicht gewohnt, mit Menschen oder generell zu reden.“ Verwirrt schaute ich ihn an. Wenn er doch hier im Krieg ist, müsste er dann nicht auch des öfteren mit seinen Soldaten gesprochen haben?

Ich wollte ihn gerade nach seinen Namen fragen, doch der Soldat begann plötzlich hektisch zu reden. So als wüsste er, was ich sagen würde und wolle seinen Namen nicht nennen. „Du wolltest wissen, wo du hier bist, richtig?“ „Äh, ja?“ antwortete ich, immer noch ein wenig perplex. „Du bist im Jahre 1914, kurz nachdem Deutschland Frankreich den Krieg erklärt hat. Die Soldaten beachten dich nicht, da du in ihren Augen gar nicht existierst. „Äh, wie meinst du das?“ fragte ich wieder einmal verwirrt. „Wir beide sind gerade in einer anderen Realität. Wir können sie sehen, doch sie uns nicht. Deshalb wurdest du auch nicht von den Schüssen getroffen,“ erklärte der Soldat. „Und was mach ich jetzt hier?“ So langsam kam ich mir etwas dumm vor mit der ganzen Fragerei, aber ich wollte nunmal alles wissen. „Hast du schon mal von den fünf Geistern gehört?“ Ich schüttelte den Kopf. „Also es war so…“

Er begann einen Vortrag, über die Entstehung des Universums, von irgendwelchen Geistern, die für verschiedene Sachen zu ständig waren und von den Auserwählten. Jedoch konnte ich ihm nur halb zuhören, da ich immer wieder von seinem zuckenden Schnurbart abgelenkt wurde. Als er aber von Soldaten des Nichts sprach, weckte er wieder mein Interesse. „Etwa die, von denen das Mädchen von vorhin gesprochen hat?“ fragte ich so schnell, dass ich mich verschluckte. „Richtig. Es gibt insgesamt fünf, eigentlich für jeden Geist einen, doch dieses Mal haben sie sich wohl zusammengetan und wollten dich fangen, was ihnen wohl fast geglückt war, wie ich hörte.“

Der Soldat, der immer noch nicht seinen Namen genannt hat, schaute mich vorwurfsvoll an. Ich begriff zuerst nicht, was er meinte, doch so langsam schimmerte es. „Meinst du etwa Big Bob?“ fragte ich leicht verduzt. „Wenn du den meinst, der dich über die Dächer verfolgt hat, ja,“ antwortete der Soldat, bei dem das Bartzucken langsam aufhörte. „Sie sind die Diener des Nichts und deshalb nach ihm und den Geistern die gefährlichsten Lebewesen im ganzen Universum. Du konntest „Big Bob“ nur zweimal entwischen, da er erst noch Macht und Stärke entwickeln muss. Ihre gefährlichste Fähigkeit ist die Unsterblichkeit, die selbst das Nichts und die Geister nicht besitzen.“

Nun wagte ich es endlich, ihn wieder auf seinen Namen anzusprechen, doch auf einmal presste er blitzschnell seine Hände an meinen Brustkorb und wiedereinmal gefror das Blut in meinen Adern zu Eis. „Tut mir leid, dass ich dich jetzt so plötzlich wieder wegschicken muss, doch es ist besser für alle Beteiligten, wenn du meinen Namen nicht weißt.“ Dann wurde ich ohnmächtig.

Ich kam benommen zu mir. Mein Schädel brummte abermals und ich musste erst einmal mein Gleichgewicht wiederfinden, bevor ich aufstehen konnte. Als meine Sicht auch wieder klarer wurde, erstarrte ich. Ganz Rabat lag in Schutt und Asche.